Das schlechte grüne Gewissen
Ab sofort muss in der Beratung zu Finanzanlagen auch die Fragen der Nachhaltigkeit mit den Kunden besprochen werden. Oder besser gesagt: Berater müssen die Präferenzen der Kunden abfragen, was das Thema angeht, und dann die Depots entsprechend auf-, aus- oder umbauen. Doch derzeit interessieren sich nur die wenigsten Kunden dafür – und gute Produkte sind rar.
Angestoßen hat das Ganze die EU. Das Ziel ist es, möglichst viel Kapital in solche Anlagen umzuleiten, die einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft fördern oder zumindest nicht behindern. Für Aufsehen sorgte dann, dass auch Gas- und Atomkraftwerke als nachhaltig deklariert wurden – und letztlich ist hier das gesamte Thema eigentlich schon zu Ende. Denn selbst guten Willen auf Kundenseite vorausgesetzt: mit einer so vorbelasteten Kategorisierung von Anlageprodukten als nachhaltig oder nicht brauchen viele Berater gar nicht erst anzutreten.
Was passiert? Wer bereits überzeugt ist vom Nachhaltigkeitsgedanken, wird diesen auch in der Geldanlage umsetzen wollen. Diese Kunden aber werden sich angesichts der eher schwammigen EU-Vorgaben eher für Fonds oder andere Produkte entscheiden, die sich ganz klar als vollständig nachhaltig positionieren. Investments in erneuerbare Energien gehören sicherlich dazu, auch Direktinvestments in einzelne Aktien oder speziell konstruierte Fonds. Angesichts der immer noch nicht übermäßig großen Auswahl an Zielinvestments sind solche Produkte aber eher auf Nischen beschränkt.
Ein breit streuendes Portfolio aufzubauen, in das bedenkenlos viele Milliarden Euro fließen können und das vollständig nach Artikel 9 der EU-Taxonomie arbeitet, ist kaum zu schaffen. Artikel 9 sind die grünsten der grünen Anlagen, die nach Artikel 8 zertifizierten sind eher grün, die nach Artikel 6 gelten als konventionell. Dabei sind die Grenzen allerdings fließend. Denn manch ein Anbieter rechnet etwa Aktien von Unternehmen in die grüne Kategorie, wenn bestimmte Umsatzanteile als nachhaltig gelten. Andere rechnen dann nur den nachhaltigen Anteil auf ihren Fonds an – Unübersichtlichkeit und Intransparenz sind programmiert.
Dazu kommt, dass zunächst tatsächlich nur danach geschaut wird, ob die Produkte den Klimawandel beeinflussen. Investitionen in Klimaschutz und für Anpassungen an den Klimawandel sind gefragt. Andere Kriterien werden zunächst nicht angelegt, hier soll in weiteren Stufen die Einordnung der Produkte später verschärft werden.
Ein grünes Gewissen bei der Anlage zu kaufen, wird also einfacher, weil der Berater neben der Rendite- und Risiko- auch die Nachhaltigkeitspräferenz der Kunden abfragt – und so manchen erst zu diesem Thema bringt. Eine gewaltige Umschichtung von Kapital wird damit aber noch nicht verbunden sein. Denn zum einen ist die Vorgabe auf die EU beschränkt. Und zum anderen sind die Kriterien zu schwammig, ausreichend Produkte noch nicht geschaffen. Ein anderer Aspekt wird hinzukommen, je mehr Anleger in die Grünes-Gewissen-Produkte gehen: es werden dadurch Nischen entstehen, wo bei Investments in Nicht-Grüne-Produkte eine höhere Rendite geboten wird, um sie finanziert zu bekommen. Und diese werden eine gute Nachfrage finden.