Ruhe an der Börse: Gewünscht wie gefürchtet
Seit einiger Zeit ist an den Börsen nicht viel los. Die Indizes dümpeln in einer recht engen Spanne, Ausschläge nach oben wie nach unten sind selten und wenn dann gering. Und wenn auch alle immer sagen, dass Sicherheit und Ruhe für die Börse die besten Zutaten sind: das ist so falsch wie es nur sein kann – und die gegenwärtige Ruhe ist gefährlich.
Die Börse ist ein Marktplatz der Stimmungen. Kurse sind in Geld ausgedrückte Meinungen. Über Märkte, Ereignisse, Firmen, Menschen. Über zukünftige Entwicklungen. Je weiter die Meinungen auseinanderklaffen, desto größer ist die Spannung an der Börse. Das kann sich zum einen in starken und schnellen Kursbewegungen zeigen. Oder in einem zögernden Abwarten, einem verhaltenen Lauern auf den richtigen Moment, mit seiner Meinung aus der Deckung zu kommen. So sieht es derzeit aus.
Der Dax etwa bewegt sich seit Monaten in einer engen Range und macht auch nicht wirklich Anstalten, daraus auszubrechen. Weder positive noch negative Nachrichten lassen ihn derzeit aufwachen. Alles ruhig, alles gut? Hat der Dax-Anleger doch schon gut verdient, wenn er die richtigen Einstiegspunkte hatte. Alles ruhig aber nicht wirklich gut: eine längere Seitwärtsbewegung ist gerne einmal ein Indikator für anstehende größere Bewegungen. Das tiefe Luftholen vor dem Sprung.
Für Langfrist-Investoren ist die Seitwärtsbewegung erst einmal nicht schlimm. Wer über Zeiträume von Jahren denkt, interessiert sich kaum für die gegenwärtigen Geschehnisse und wird auch seine Asset Allokation nicht hektisch anpassen. Schwieriger ist es für die Häuser, die eher kurzfristig denken und handeln und denen jetzt die Richtung fehlt. Oder auch Handelshäuser, die den Nanosekundentakt als Rhythmus ihres Geschäftsgewählt haben und immer dann gut verdienen, wenn die Märkte in Bewegung sind. Sind sie das nicht oder nicht in ausreichendem Maß, werden die Margen geringer.
Möglich also, dass hier größere Wetten eingegangen werden, um die Einnahmen zu erhalten. Möglich auch, dass mehr Risiko eingegangen wird, um noch genug zu verdienen. Beides ist nicht hilfreich, wenn der Markt sich dann doch eines Tages wieder in Wallung bringt. Je länger die Seitwärtsbewegung dauert, umso gespannter warten die Marktteilnehmer auf deren Ende. Werden kleine Nachrichten bislang ignoriert, können sie bald schon größere Bedeutung erlangen. Hauptsache es passiert wieder einmal was.
Angesichts der Weltlage ist es zwar verwunderlich, dass keine Nachricht ausreichend groß ist, die Märkte zu bewegen. Ukrainekrieg, Inflation, Wahlen, Putsche, Bürgerkriege: alles scheint schon verdaut und eingepreist zu sein. Und doch reicht derzeit ein kleines, vor allem aber ein unerwartetes Ereignis, um die Märkte wieder in Schwung zu bringen. Und es wird keine weiteren Monate mehr dauern, bis dies geschieht.